Jan.-Juni 2008
Unsere Wertegemeinschaft
In Folge der radikalen sozialpolitischen Umwälzungen der letzten 10-20 Jahre verändert sich auch ständig die „Identitätsformel“ der im Westen lebenden Ungarn. Die in den nächsten ein bis zwei Generationen aussterbende, verschwindende, sich assimilierende, in der Emigration wurzelnde Diaspora der Ungarn wird sukzessive durch ein integratives Diasporamodell abgelöst, welches nicht durch Sentimentalität gegenüber dem Geburtsland bestimmt ist, sondern auf der alltäglichen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Verwandtschaft und gegenseitigen Besuchen basiert. Das ist ein Modell, das immer wieder aus dem Reservoire der Ungarn aus Ungarn und aus ihren in Versailles errichteten Folgestaaten stammt, dieses auffüllt und teilweise umformt, von den in die Welt ausströmenden Studenten, Arbeitnehmer oder sozialen und politischen Flüchtlingen. Wir müssen auch mit diesen Veränderungen rechnen, sodass wir rechzeitig die richtige Lösung finden. Der Europa-Club positioniert und wertet sich als eine in Wien beheimatete sprachliche und kulturelle Wertegemeinschaft, derer höchste Priorität die institutionelle Beständigkeit ist.
So, wie in der ersten Hälfte dieses Jahres so auch in der zweiten Hälfte waren wir bestrebt unseren Clubmitgliedern die Werte der ungarischen Kultur zu vermitteln.
(1) Nach der üblichen Sommerpause eröffneten wir am 13. September die Herbstsaison. Das künstlerische Arrangement der Chansonier Éva Meister bot weltberühmte Lieder, wie jene aus dem Film „Der Blaue Engel“ mit Marlene Dietrich sowie Lieder von Edith Piaf und Yves Montand. Außerdem rezitierte die Künstlerin Auszüge aus dem autobiographischen Werk „Euer ist mein Leben“ von Marlene Dietrich, sowie von Rilke, Goethe, Li Taj Po und aus den Werken von Pasovszkij. Die bezaubernde Persönlichkeit von Éva Meister legierte die drei großen Gruppen der Bühnenkunst Gesang, Sprechtheater und Bewegungskunst zu einer Einheit. Das Publikum bedankte sich mit nicht enden wollenden Ovation für diese Produktion der Künstlerin. Die musikalische Begleitung am Klavier besorgte der Pianist Herr Miklós Bánfi.
(2) In der letzten Septemberwoche, zwischen 27. und 30., unternahmen wir unsere Herbstvereinsreise nach Venedig und Padua. Unter Führung des bekannten Historikers Herrn László Csorba besuchten wir die Gedenkstätten mit ungarischem Bezug in Norditalien. Venedig ist nicht nur ein Kleinod des Städtebaus, sondern eine Stadt mit vielen Gedenkstätten die die Magyaren bewegt. An dieser Stelle gehen wir nur auf die wichtigsten ein, da eine ausführliche Beschreibung derer bereits in unserem Jahrbuch 2007 nachzulesen ist.(Sehenswürdigkeiten die auf den Märtyrer Gerhard den Heiligen in San Giorgio Maggiore und auf die Insel Murano hinweisen; dann der sogenannte Ungarkopf (ongaro) auf einer Säule des Palais Doge; die Gedenktafel von Lajos Winkler (1848-49); das Straßenschild „Königin der Ungarn“ usw. Der Name Padua ist mit seiner alten Universität (1222) und mit dem von dort stammenden Heiligen, dem Heiligen Anton, eng verbunden. Aus vielen Teilen Europas kamen Studenten hierher, um zu studieren, besonders aus Ungarn, aus Polen, und aus den deutschen Gebieten. Unter ihnen war Janus Pannonius und der spätere König von Polen Stefan Báthory.
(3) „Die Nachtwandler-Romanze“, eine Zigeunerballade mit Tanz und Musik, war der Titel einer Theateraufführung des Theaterensembles Miklós Tompa vom Nationaltheater aus Marosvásárhely in Rumänien, die am 13. Oktober stattfand. Der Inhalt dieser Ballade ist der Kampf zwischen zwei Männern, und mit sich selbst um die Liebe eines Zigeunermädchens. In der Handlung wird es langsam klar, dass statt Liebe nur der Besitz des Mädchens das Motiv der Männer war. Das kokette, frivole und verführerische Mädchen wird zu einer Sklavin, die zum Opfer eines Mordes wird. Der Ort des Geschehens ist ein Dorfwirtshaus, im Hintergrund zwei Musiker, die auf ihren Geigen eine Melodie zupfend die bevorstehende Tragödie erahnen lassen.
(4) Am Sonntag den 14.Oktober 2007 veranstaltete der Europa-Club mit dem Verein der Ungarischen Studenten in Wien (MDE-VUS) gemeinsam einen Ausflug ins Burgenland, an dem 25 Studenten teilnahmen. Das Ausflugsprogramm war unter anderem der Besuch von Burg Forchtenstein und ein „Stadtbummel“ in Ober- und Unterwart. In der Volkshochschule der Burgenlandungarn konnten die Ausflügler nicht nur einem Vortrag vom Prof. László Somogyi über die Geschichte der Burgenlandungarn hören, sondern sie konnten auch eine Kostprobe aus der burgenländisch-ungarischen Volksmusik lauschen, präsentiert durch die Zitherkapelle Öri Banda. In Unterwart wurde die Reisegruppe in der „Alten Schule“ vom UMIZ (Ungarisches Medien- und Informationszentrum) und von der Volkstanzgruppe aus Siget in Wart (Örisziget) begrüßt. Nach einer temperamentvollen Volkstanzschau informierte der Leiter von UMIZ die Gäste über die Aktivitäten des Kulturhauses in Unterwart und führte anschließend durch die Bibliothek. Die Studenten konnten sich auf diese Weise ein Bild über die Arbeit von UMIZ machen und die aktuelle Lage der Ungarischen Volksgruppe in Burgenland besser kennenlernen. Der letzte Akt in diesem Tagesausflug bildete der Besuch der Studenten im Heimatmuseum in Unterwart (Alsóör), wo der Museumsdirektor Herr Ernö Szabó die Gäste in jovialen Art durch die Räume führte, am Ende wurden sie noch mit einem kleinen Imbiss überrascht. Die kulinarische Überraschung verlieh der Gesellschaft eine derart lockere Atmosphäre, dass sie noch zum Schluss den Museumsbesuch mit Gesang von ungarischen Volkslieder abschlossen zur Freude aller Teilnehmer.
Über diesen Ausflug der Studenten aus Wien kann man auf der Informationsseite der Burgenlandungarn im Internet ausführlich nachlesen (www.langos.at).
(5) Am 17. Oktober hat unser Kulturverein eine Filmvorführung veranstaltet. Es wurde ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Durch Blut und Strang“ über die Salve in Mosonmagyaróvár gezeigt, die sich am 26. Oktober 1956 ereignete. Ein Film purer Authentizität und Schauder mit ihren Teilnehmern und Überlebenden, mit der in uns weiterlebenden Zeitgeschichte sowie über die Unterdrückungsmaschinerie in Ungarn zu dieser Zeit. Es ist paradox, beinahe unwichtig wer auf welcher Seite gestanden ist, was wer in der Hand gehalten hat, und vielleicht auch die Annahme wer den Schießbefehl ausgesprochen hat. Die Salve ist geschichtliche Tatsache. Es gab dort Feuerwaffen, es gab dort Demonstranten und eine emotionsgeladene Situation, sowohl hinter den Maschinengewehren wie vor ihnen.
(6) Wie in den letzten zwei Jahren so hielten wir auch in diesem Jahr am 10. November einen ökumenischen Gedenkgottesdienst in Bad Deutsch Altenburg beim symbolischen Grabstein der Ungarn ab. Im Vorjahr ließen wir dort zum 50. Jahrestag der Ungarischen Revolution 1956 einen Pfahl aufstellen, und. legten unsere Kränze nieder. Der Gottesdienst in der Kirche wurde durch die künstlerische Mitwirkung des Gesangschors Híd aus Somorja in Ungarn sowie von dem Pianisten László Csabai und dem Vibrafonisten András Baráth begleitet. Am symbolischen Grab spielte der Musiker aus Nyíregyháza Csaba Nagy bekannte ungarische Lieder auf dem Tárogató (eine ungarische Form der Klarinette). Die Bedeutung dieser Veranstaltung bekommt dadurch Gewicht, dass sich in Österreich in einer gotischen Kirche, derer Stiftung auf den ersten ungarischen König Stefan den Heiligen zurückzuführen ist, die Ungarn aus Wien und die Ungarn aus der benachbarten Pressburg miteinander trafen. Unser Ziel ist, dass die Menschen aus Mosonmagyaróvár künftig bei dieser Veranstaltung mitfeiern.
(7) Am 15. November hielt der Historiker Univ. Prof. Àkos Egyed aus Klausenburg (Kolozsvár) in Rumänien ein Vortrag mit dem Titel „Széchenyi und Siebenbürgen“. Er hob in seinem Vortrag hervor, dass die Bindung Széchenyis mit Siebenbürgen eher nur ideeller Natur war. Die Werke von Széchenyi waren von den Siebenbürgern begrüßt worden, trotz mancher Kritiken, besonders in Hinblick auf seine politische Meinungsverschiedenheiten mit Kossuth, die er mit ihm geführt hat. Der Vortragende wies darauf hin, dass die Initiativen, die von dem edlen Aristokraten (diese Bezeichnung war in Siebenbürgen auch üblich) in Ungarn getätigt wurden, auch in Siebenbürgen als Beispiel angenommen wurden. Es wird als erwiesen angenommen, dass seine Thesen die Triebfeder waren, um in Klausenburg (Kolozsvár), Neumarkt (Marosvásárhely), Karlsburg (Gyulafehérvár), Thorenburg (Torda), Szilágysomlyó und Zilah Casinos und in vielen Städten und Gemeinden Lesezirkel zu gründen. Er hatte maßgeblich Anteil daran, dass man 1844 die Siebenbürgische Wirtschaftsgemeinschaft gründete, die dann die Modernisierung der Landwirtschaft vorgenommen hat. Das Wichtigste war dennoch, dass durch den Einfluss der Thesen von Széchényi und von Anderer die nicht mehr aufschiebbare Reformen in Siebenbürgen sichtbar wurden.
(8) Am 17. November gab es wieder einen Theaterabend. Auf dem Programm stand ein Werk von Géza Gárdonyi „Der Wein“ (A bor), das sein bekanntestes Theaterstück ist. Das Schauspielensemble kam aus Komarno (Komárom) in der Slowakei vom Theater Jókai. Die Handlung des Theaterstückes ist eine alltägliche Geschichte: Der von einem Fest betrunken heimkehrende Bauer verprügelt seine Frau die von zu Hause flieht, jedoch am Ende des Theaterstückes verzeiht sie ihrem Mann, und es herrscht zwischen ihnen wieder Friede.
(9) Unserer langjährigen Vereinspraxis gemäß beendeten wir das Vereinsjahr mit der gemeinsamen Weihnachtsfeier. Im Jahr 2007 fiel der Tag auf den 23. Dezember. Feiern im „Europa-Club bedeutet neben der Bewirtung der Gäste und der Bescherung auch ein Musikalisch- Literarisches Programm. Die in Ungarn landesweit bekannte Künstlerin und Volksliedsängerin Frau Mária Maczkó (aus Tura) stellte uns ein Weihnachtsprogramm mit der Bezeichnung von Advent bis Advent zusammen. Sie sagte: „Ich nahm diese Schätze der gesungenen Literatur des Landes als Erbschaft auf sowie die vertraute Wärme meines Heimatdorfes mit, die Liebe zum Volkslied und zu Lobgesängen, so wie der Glaube und die Demut, denn in ihrem Mangel kann man nicht die Wahrhaftigkeit singen. Jedem Volk ist die Affinität zum Schönen und zum Guten und zu dem Bedürfnis der Selbstdarstellung eigen; dass wir uns der Welt zeigen, und damit wir unserer Gemeinschaft und unserer Umgebung zum weiterleben Kraft geben. Das ist das ewige Bestreben der Menschheit. Ich handle auch danach. Ich habe das Glück, dass ich als Ungarin auf die Welt gekommen bin, und froh, dass ich singen darf. Ich möchte sehr, dass diese Lieder bei allen Menschen ankommen, diese herrliche Lieder.“ (Mária Maczkó)
Wien, am 24.12.2007