Geschichte des „Europa“-Clubs
Andreas Smuk
Die Saat ist aufgegangen
Die Geschichte des „Europa”-Club zwischen1964 und 2013
Der Kulturverein der Wiener Ungarn ist bekanntlich 1964 aus einem gemeinschaftlichen Bedarf heraus entstanden. Die nach der ungarischen Revolution 1956 in Wien hängen gebliebenen Jugendlichen, für die die Wurzellosigkeit und Uninformiertheit besonders charakteristisch waren, suchten einander bzw. einen passenden Freundeskreis. Erfolgreich. Diese Jugendlichen lehnten von Anfang an bewusst und offen die antidemokratischen und die Prinzipien der nationalen Zusammengehörigkeit negierenden Praktiken des Kommunismus ab. Im Voranschreiten mit der Zeit organisierte der Verein immer bewusster seinen kulturellen Lebensraum und gestaltete seine politische Betrachtungsweise. All das spiegeln die damaligen Programme, Publikationen und Bücher des „Europa”-Club authentisch wider.
All jenen, die die stille Auswirkung der Assimilation vermeiden und ihre ungarische Identität beibehalten wollten, konnte der Verein durch die gemeinschaftliche Pflege der gemeinsamen Sprache, Kultur, Bräuche und Traditionen Hilfe leisten. Der „Europa”-Club war von Anfang an darum bemüht, das Selbstbewusstsein der in Österreich lebenden Ungarn zu stärken, denn schon damals war die Anspannung des Lebens in einer Doppelheit zu spüren. Wir haben uns immer aufs Neue determiniert, nach den Wurzeln und unserer muttersprachlichen Kultur gesucht und waren stets bestrebt, unsere nationalen Feiertage als wahre Gemeinschaft zu begehen.
Abgesehen von der Zeit der Entfaltung und der Suche nach Wegen (1964–1972) kann man das weitere Wirken des „Europa”-Club in vier Zeitabschnitte teilen. Allen drei Perioden ging ein Ortswechsel voraus. Mit der Örtlichkeit gab es jedes Mal auch einen Wechsel bei einem Teil der Mitglieder. Es trat auch eine Veränderung in der Programmgestaltung des Vereins ein.
Zeitabschnitt der Suche nach neuen Wegen:
1964–1966. Vorsitzender. Péter Borsos (†).1966–1967. Vorsitzender: István Nagy (†) 1967–1968. Vorsitzender: László Fazekas (†). 1968–1971. Vorsitzender: Kálmán Kovács.
Neuorganisierung in vier Etappen
1. Etappe: 1972–1976. Anschrift: Wien I., Schottengasse 2. Vorsitzender: Dr. Ernő Deák / Dr. Ferenc Darányi. 2. Etappe: 1976–1987. Anschrift: Wien I., Annagasse 20/1. Vorsitzender: Dr. F. Darányi (†) 3. Etappe: 1987–2008. Anschrift: Wien IX., Boltzmanng. 14. (Pazmaneum). Vorsitzender: päpstlicher Prälat Géza Valentiny (†). 4. Etappe: 2008– . Anschrift: Wien XX., Nordwestbahnstr. 91/24. Vorsitzender: Dr. András Smuk.
1972 – 1976
In dieser Periode ist es uns gelungen, eine große Zahl Jugendlicher zu gewinnen; sie (vor allem Studenten) bildeten den Kern des damaligen „Europa”-Club. Bei ungebundenem Beisammensein donnerstags gab es ein aktives Vereinsleben mit der Möglichkeit, einander kennenzulernen und sich zu unterhalten. Die Veranstaltungen und Vorträge besuchte eher die ältere Generation und garantierte dadurch die materiellen Bedingungen für das Bestehen des Klubs.
Zu unseren ersten Aufgaben gehörte es, die Räumlichkeiten in Ordnung zu bringen und das fehlende Mobiliar zu beschaffen. Für jede Art von Tätigkeit – sei es Aufräumen, Malen oder Besorgungen – meldeten sich zahlreiche freiwillige Helfer. Trotz der relativ einfachen Verhältnisse herrschte ein ausgezeichneter Gemeinschaftsgeist. An der ehrenamtlichen Arbeit beteiligten sich insbesondere die folgenden Personen: Endre Kautny, Gábor Döbrentey (†), Nándor Németh, Péter Stipsicz, Lajos Puskás (†), Ferenc Alberti d’Enno (†), Árpád Csepella, Dr. Géza Simonfay, Dr. Ernő Deák und Dr. András Smuk.
Die Gegensätze zwischen der Unterhaltung suchenden, politisch sehr heterogenen Jugend und den älteren Jahrgängen, die einen höheren kulturellen Anspruch an den Tag legten, wurden immer größer. Die damalige Leitung konnte die Ansprüche der beiden Gruppen nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner bringen und es kam zu einem Bruch. Leider zogen die Jugendlichen den Kürzeren und so kehrten immer mehr von ihnen dem Klub den Rücken.
Zwischen 1972 und 1976 brachte der „Europa”-Club mit dem Titel „integratio” seine Jahrbücher heraus, die die in dem jeweils vorangegangenen Jahr gehaltenen Vorträge beinhalteten.
Im Vorwort der Ausgabe von „integratio“ im Jahr 1974 ist Folgendes zu lesen: „Wien ist eine der Städte mit einer höheren Anzahl von Ungarn, daher ist es ein unerlässliches Erfordernis, eine unabhängige Kultureinrichtung entsprechenden Niveaus aufrechtzuerhalten, die eigentlich die Mission des ‚Europa’-Club auch schon determiniert.”Dieser Satz dokumentiert getreu den Prozess, der bereits 1972 begann, nämlich die Entwicklung des „Europa”-Club zu einem Kulturverein. Dr. Ernő Deák gehört das Verdienst der Umgestaltung zu einem Kulturverein, der längere Perspektiven garantierte.
Bei der Zusammenstellung unseres Programms zogen wir in erster Linie die Wiener Gegebenheiten in Betracht. Wir haben die hier lebenden ungarischen Schriftsteller, Künstler, die hiesigen Intellektuellen eingeladen, um bei uns Vorträge zu halten, unter ihnen István Révay, Dr. Lajos Gogolák, Rudolf Schermann, Dr. László Juhász, Dr. Miklós Bencsics, Dr. Horst Haselsteiner, Ferenc Alberti d’Enno, Dr. Tibor Hanák, Dezső Monoszlóy, Dr. József Varga, Otto Molden usw.
Der Verein gab 1977 „integratio” zugunsten ihres Initiators, Dr. Ernő Deák auf, der inzwischen aus der Vereinsleitung ausschied.
Es ist wichtig hervorzuheben, dass der „Europa”-Club in den Jahren 1974–1975 eine Wochenendschule für Ungarischuntterricht organisiert hatte, den etwa 20–40 Kinder regelmäßig besuchten. Denkwürdig blieben die für die Kinder organisierten Feierstunden zum Nikolaustag und zu Weihnachten.
Die Funktion des Vorsitzenden hatte bis 1974 Dr. Ernő Deák inne, ihm folgte Dr. Ferenc Darányi, der bis 1987 an der Spitze des Vereins blieb.
1977–1988
Wegen der ständigen Erhöhung des Mietzinses war der Verein Ende 1976 gezwungen, die in der Schottengasse gemieteten Räumlichkeiten zu verlassen; seine neue Heimstätte fand er (ab Januar 1977) in der Annagasse.
In den hübschen Sälen des Palais Erzherzog Carl übernahm eine neue Führung die Geschicke des Vereins. Aus dem Studentenklub entstand allmählich der ungarische Kulturverein. Mit niveauvollen kulturellen Veranstaltungen gewannen wir unsere Mitglieder zurück und waren auch bemüht, neue Freunde zu gewinnen. Die alten geselligen Klubabende fanden kein Echo mehr, was wir mit Bedauern zur Kenntnis nahmen. Die Besucherzahl hingegen stieg rasant an (von 20 bis 30 auf 40 bis 60, sogar bis zu 100 Personen). Die neuen Räumlichkeiten machten es möglich, auch Konzerte und Filmabende in unser Programm aufzunehmen.
Von 1980 an luden wir regelmäßig Vortragende aus verschiedenen Ländern Westeuropas, sogar aus Amerika ein. Die dazu erforderliche finanzielle Grundlage schufen wir aus der Unterstützung durch unsere Mitglieder.
Blättert man die Liste illustrer Gäste durch, findet man nachstehende Namen: Éva Szörényi, György Faludy, Gyula Borbándi, Ferenc Mózsi, László Varga, Tibor Tollas, Elemér Illyés, Albert Vajda, Zoltán Kovács K., István Vida, Tamás Kabdebó, Ferenc Szabó SJ, Tamás Bogyay, Győző Határ, Imre Kovács, László Révész, Béla Padányi-Gulyás, Gellért Békés, Béla Király, József Szamosi, László Gábor Hajnal, Gábor Kocsis, János Gönczöl, Zoltán Zsille, Péter Gosztonyi, Vilmos Csernohorszky, Csaba Nagy, György Gömöri, András Domahidy, Péter Kende, Antal Czettler, József Kővágó, György Ferdinandy, Lajos Füry, Éva Saáry und viele andere.
Zu den Nationalfeiertagen (am 15. März und 23. Oktober) kamen100 bis 150 Personen.
Vom September 1982 an brachten wir unter dem Titel „HÍRMONDÓ” halbjährlich eine Informationsbroschüre mit einer Auflage von 500 bis 700 Exemplaren heraus, die über unsere Tätigkeit berichtete bzw. ausgewählte Texte der gehaltenen Vorträge veröffentlichte.
Gyula Borbándi schrieb in seinem 1996 erschienen Buch mit dem Titel „Emigration und Ungarn”Folgendes: „Der ‚Europa’-Club, der im April 1964 entstand, ist bis Mitte der 80er-Jahre zum bedeutendsten ungarischen Verein in Wien geworden. Der regelmäßige Gedankenaustausch, die Vorträge, Enqueten und Feierlichkeiten machten auch außerhalb von Wien und der Grenzen Österreichs auf sich aufmerksam. Über sie berichtete nicht nur das ’Bécsi Napló’ (Wiener Tagebuch) regelmäßig…”
1987–1988
Im Frühjahr 1987 wurde uns die Untermiete in der Annagasse aufgekündigt, wo der Verein rund zehn Jahre lang gewirkt hatte. Das einstige Palais Erzherzog Carl, das sich im Besitz der österreichischen Caritas befand, wurde der Musikhochschule vermietet.
Der alte Mieter des Carl-Palais war das Internationale Kulturzentrum, dessen Untermieter der „Europa”-Club war.
Als registrierter Verein befasste sich das Internationale Kulturzentrum mit kultureller Tätigkeit. So gab es kein Geld für die Renovierung und Modernisierung der Räumlichkeiten. Da es keine ausreichenden Subventionen beschaffen konnte, war das Schicksal des Kulturzentrums besiegelt.
Die Leitung des „Europa”-Club musste noch im Laufe des Sommers 1987 nach einem neuen Klubraum Ausschau halten, um das Herbstprogramm abwickeln zu können. Letztendlich bekamen wir im Pazmaneum die neue Heimstätte.
Ein Teil der Mitglieder stand wegen des Ortswechsels des Klubs an einem Scheideweg, so dass einige von ihnen endgültig fernblieben. Die Veränderung auf dem Posten des Vorsitzenden, die am 26. Februar 1987 stattfand, verlief auch nicht reibungslos. Nach Dr. Ferenc Darányi, der über zehn Jahre lang dem Verein vorstand (und damals sein 70. Lebensjahr vollendete) folgte der päpstliche Prälat Géza Valentiny.
Manche meinten deshalb, dass wir zu einem katholischen Verein geworden sind, andere wiederum vermuteten wegen der aus Ungarn eingeladenen Vortragenden eine politische Verzerrung. Um die oben geschilderten Probleme zu beseitigen bzw. neue Mitglieder anzuwerben, waren wir darum bemüht, das Niveau der Veranstaltungen zu erhöhen. Die Entspannung der politischen Atmosphäre in Ungarn war für uns vorteilhaft. Immer mehr oppositionelle Schriftsteller, Dichter, Künstler und intellektuelle Denker nahmen mit uns Kontakt auf und baten uns um die Möglichkeit, bei uns auftreten zu können.
Das Jahr 1988 war ein ausgezeichneter Beweis dafür, dass wir nicht nur das Niveau und dadurch die Besucherzahl der Veranstaltungen erhöhen konnten, sondern dass wir auch dem Anspruch gerecht wurden, zu dem uns auch die Bezeichnung des Vereins verpflichtet, nämlich ein Bindeglied zwischen der ungarischen und der westeuropäischen Kultur zu sein.
Bei der Programmgestaltung achteten wir sorgfältig darauf, dass alle Töne der getrennten Nation erklingen.
Besonders stolz sind wir darauf, dass der Verein 25 Jahre lang von den Mitgliedern aufrechterhalten wurde, ihre finanzielle Unterstützung garantierte die Kontinuität unserer Kulturarbeit.
Schwerpunkte unserer Tätigkeit waren:
• würdiges Gedenken an unsere Nationalfeiertage (15. März und 23. Oktober)
• Vorträge und Diskussionsabende (1988 z.B. 17 Mal)
• kulturelle Ausflüge
• ungebundene Klubabende
• die jährlich zweimalige Herausgabe des Nachrichtenblattes des Klubs „Hirmondó”
In dieser Periode war die Bedeutung des „Europa”-Club darin verborgen, dass die Gemeinschaft, die die ungarische Bildung und Kultur in Wien pflegt, lebendige Wirklichkeit blieb, die trotz der ermüdenden täglichen Arbeit Abend für Abend Interessenten und Besucher für die Vorträge in genügender Zahl verzeichnet. Wir waren der Meinung, dass wir mit unserer Tätigkeit etwas aus der Vergangenheit in die Zukunft hinüberretten, was ansonsten verloren ginge. Kraft und Wirkung unserer Gemeinschaft dürfen natürlich nicht überschätzt werden, dennoch hatten wir den festen Glauben, dass der„Europa”-Club unverändert seine Mission erfüllt, solange er von der Freiheit des Gedankens Zeugnis ablegt.
1988–2013
In diesen Jahren war die Tätigkeit des Vereins zum Teil weiterhin vom Streben nach hohem Niveau, zum Teil – durch die Erstarkung der oppositionellen Bewegungen in Ungarn – vom erhöhten Beharren auf den Ideen der Revolution 1956 geprägt. Die Leitung des „Europa”-Club engagierte sich in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre kompromisslos als Opposition zum kommunistischen System. Die Handlanger der Diktatur vor Ort setzten alles daran, den Verein als Quelle von Hass, als Träger von Ideen des Kalten Krieges und als rechtsgesinnte Gruppierung abzustempeln. Über die Veranstaltungen wurde mündlich oder schriftlich Meldung erstattet. Es kam mehrfach vor, dass eingeladene Künstler oder Vortragende (wie z.B. der Volksmusiker József Birinyi) keinen Reisepass erhielten oder sie nach ihrem Auftritt zur Polizei zitiert wurden (wie junge Vortragskünstler des Zirkels „Forrás”, da sie einige harmlose Gedichte von Gyula Illyés rezitierten). Die ungarische Opposition suchte – trotz der zu erwartenden Behelligungen – immer intensiver nach Kontakten mit dem „Europa”-Club und durch ihn mit der westlichen Öffentlichkeit. Nicht ohne Grund geriet der Text in das unsichtbare geistige Museum der Ungarn und in das Goldene Buch des Ungarischen Erbes (2. Oktober 2006): „Die Treue des Wiener ‚Europa’-Club zum Geist von 1956 ist ungarisches Erbe.”
Während des Galaprogramms zum 45. Jahrestag des Bestehens des „Europa”-Club am 25. April 2009 sagte Lajos Gubcsi, Vorsitzender des Kuratoriums für die Ungarische Kunst, aus Anlass der Überreichung des Fürst-Árpád-Preises: „Die Leiter des Vereins schlossen auch nach Jahrzehnten in Bezug auf 1956 keinen Kompromiss. Sie ließen sich nicht kaufen, sie nahmen die Dienste des Kádár-Regimes nicht in Anspruch: die kostenlosen Ungarn-Reisen, die aus öffentlichen Geldern finanzierten Urlaube, mehr noch: Sie blieben dem Geist von 1956 auch dann treu, als das kleine Häuflein Aufrechter im Schatten eines Baumes Platz gehabt hätte. Sie gaben das Erbe von 1956 nicht für einen Judaslohn her. Aus dem „Europa”-Club ist niemals die fünfte Division Kádárs und seiner Genossen geworden und seine Leiter besuchten ihre Heimat, darunter den Budapester Heldenplatz, nach ihrer Flucht erstmals am 16. Juni 1989 aus Anlass der Wiederbestattung von Imre Nagy und seinen Mitstreitern und legten ihren Kranz am Sarg der Helden nieder. Vor drei Jahren erhielt der Verein im Festsaal der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in feierlichem Rahmen den Preis Ungarisches Erbe überreicht. Im Zeichen desselben Erbes überreichen wir jetzt den Ungarn in Wien und Österreich, dem Klub und András Smuk den Fürst-Árpád-Preis, den das Kuratorium für Ungarische Kunst und die Stadt Herend zum 1100. Todestag unseres gemeinsamen Vaters stifteten und seither verleihen.”
Der Festredner des Galaprogramms war übrigens Dr. János Kubassek, dessen Ansprache in unserem Jahrbuch erschienen ist. Das Programm des Volkstanzensembles Garam Menti Néptánc Együttes (Lewenz/Léva/Levice) „Tänze von Nationen” steigerte die Feststimmung der Feier. Außerordentlich viele Gäste aus dem Ausland und Ungarn sowie der Fernsehkanal DUNA TV wohnten der Feierlichkeit zum fast runden Jubiläum bei.
Von der Auflösung des Wiener Ungarischen Vereins 1973 bis zur Wende in Ungarn, also 16 Jahre lang, organisierte der „Europa”-Club die Feierlichkeiten zu den ungarischen Nationalfeiertagen in Wien. Im Auftrag des Klubs traten die hervorragendsten Persönlichkeiten der im Westen lebenden Ungarn auf, die besten Kenner, Forscher oder aktive Beteiligte der Revolution waren zu hören, wie Imre Kovács, Tibor Tollas, László Varga, Béla Király, Péter Gosztonyi, Péter Kende, László Juhász, Gábor Kocsis und viele andere.
Nach der Wende 1989 übergab der Klub diese Rolle dem Zentralverband der Ungarischen Vereine und Organisationen in Österreich. Das Nachrichtenblatt „Hírmondó” wurde 1992 durch das viel anspruchsvollere Jahrbuch abgelöst. Auf dieses Jahrbuch, das jährlich in einer Auflage von 700 bis 1000 Exemplaren erscheint und viel Mühe und finanzielle Opfer erfordert, ist die Leitung des Vereins außerordentlich stolz. Nicht ohne Grund, denn in diesen Bänden sind zahlreiche wertvolle, aus politischer, wissenschaftlicher und kultureller Sicht bedeutende Beiträge veröffentlicht. Jetzt haben wir dem geistigen Schaffen der Ungarn in Österreich den 21. Band hinzugefügt. Das ist deshalb unbedingt erwähnenswert, weil in Zeiten wie diesen der Wert der intellektuellen Haltung in erster Linie durch Taten bestimmt wird.
Die Leitung des Klubs nahm gleich nach der Wende Kontakt mit den Gemeinschaften der ungarischen Minderheit auf. Zuerst erfolgte eine Öffnung in Richtung Bratislava/Pressburg, anschließend nach Siebenbürgen, der Karpato-Ukraine und der Mur-Region usw. Die glücklichen Augenblicke des Zueinanderfindens begeisterten sowohl die Leitung als auch die Mitgliederschaft. Sehr charakteristisch für diese Periode war, dass wir bei der Programmgestaltung sehr sorgfältig darauf achteten, dass alle fünf Töne der Nation, die durch den Friedensvertrag von Trianon getrennt wurde, ertönen. Aus der Erkenntnis heraus, dass die Ungarn in Österreich die ungarische Nation des in Mosaike zerfallenen Karpatenbeckens nicht kennen – auch nicht kennen können, haben wir unser Programm 1990 um kulturhistorische und landeskundliche Ausflüge erweitert. Seitdem bewanderten wir das ehemalige Oberland (heute Slowakei), Siebenbürgen, die Karpato-Ukraine, die Mur-Region, das Land der Tschangos, den Banat und die Batschka, das Dreieck um die Drau, Polen, das Baltikum, die Türkei, Dalmatien, Bosnien-Herzegowina, Venedig, Padua, Rom, Verona, Mailand, Turin und Neapel. Wir waren in Ost- und West-Galizien, bei den Ungarn in Prag und Lemberg usw. Der Verein stellte 1995 in Beregszász eine Büste von Gábor Bethlen auf und brachte eine Ferenc-Rákóczi-Gedenktafel an der Mauer der ostgalizischen Burg in Brezan an. Am 6. Oktober 2009 wurde die Petőfi-Büste von László Hunyadi (Marosvásárhely/Tirgu Muresch/Neumarkt) im Foyer des Ungarischen Kulturinstituts in Wien Collegium Hungaricum im Beisein des Künstlers enthüllt.
Am 22. Oktober 2001 gedachten wir der Revolution von 1956 mit der Einweihung eines künstlerisch gestalteten Denkmals aus Holz in Jánossomorja. Dies wurde gemeinsam mit der Selbstverwaltung der Ortschaft am Weg in Richtung Andau (Mosontarcsa) aufgestellt, wo vor 55 Jahren massenweise Ungarn das Land verlassen hatten An der Feierstunde nahm auch der Botschafter Ungarns in Wien, Vince Szalay-Bobrovniczky teil, der über die Bedeutung der Ereignisse von 1956 sprach. Wie er erklärte, war die Revolution die größte Tat Ungarns im 20. Jahrhundert, die den Namen Ungarns zum Synonym der Tapferkeit werden ließ. Die Solidarität Österreichs damals habe dafür gesorgt, dass die Ungarn heute Österreich für den sympathischsten Nachbar halten. Anschließend enthüllten Bürgermeister Dr. Károly Kurunczi, der Vorsitzende des „Europa”-Club Dr. András Smuk und Botschafter Vince Szalay Bobrovniczky gemeinsam im Beisein von hunderten Gedenkenden das auf dem Weg der Flüchtlinge aufgestellte Holzdenkmal. Am 4. Juni 2012 wurde in der südlichsten, mehrheitlich von Ungarn bewohnten Ortschaft des ungarischen Sprachraumes, im Kulturhaus in Székelykeve im Banat eine Sándor-Petőfi-Gedenktafel angebracht. Es freut uns sehr, dass es uns endlich am 9. Oktober 2013 gelang, eine Kuno-Klebelsberg-Büste in Sopron aufzustellen, die ursprünglich im Park vor dem ehemaligen Leibgardistenpalais in Wien ihren Platz finden sollte. Den einschlägigen Antrag lehnen die Österreicher ab, weil sie in der Persönlichkeit Persönlichkeit Kuno Graf Klebelsberg einen Antisemiten sehen. Vergeblich bezogen wir uns auf sein hochkarätiges kulturpolitisches Schaffen und auf eine offizielle Stellungnahme der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die diese Behauptung widerlegte: Wien hat schlussendlich die Aufstellung der Büste mit der Begründung nicht genehmigt, es wolle sich nicht in politische Diskussion verwickeln. Die Büste – ein Werk des mit dem Preis für das Ungarische Erbe ausgezeichneten Künstlers László Hunyadi aus Neumarkt/Marosvásárhely/Tirgu Muresch – wurde von Bürgermeister Tamás Fodor, dem Staatssekretär für Kultur János Halász und dem Vorsitzenden des„Europa”-Club Dr. András Smuk auf dem nach Klebelsberg benannten Platz eingeweiht.
In unserem ersten Band mit dem Titel Nemzeti zarándoklatok és honismereti körutak (1990– 2000) (Nationale Pilger- und landeskundliche Rundreisen) berichteten wir über kulturhistorische Ausflüge von zehn Jahren. 2011 erschien der zweite Band mit dem Titel Útravaló (Reisetipps), der eine Dokumentation von Reiseberichten aus dem Zeitraum 2000 bis 2010 beinhaltet. Diese Rundreisen erfreuen sich heute noch großer Beliebtheit. Im Frühjahr 2013 machten wir uns zum Beispiel auf den Weg, um das kulturhistorische Erbe und die Naturschätze in den schönsten Gegenden in Nord-Ungarn, im Land der Palotzen, zu entdecken. Géza Gárdonyi, Kálmán Mikszáth, Bálint Balassi, Imre Madách, Márk Rózsavölgyi, Gyula Benczúr, Kálmán Csohány und Zoltán Kodály – sie sind die bekanntesten Botschafter dieser Region, die die Schönheit der dortigen Natur, die Burgruinen auf den Berggipfeln, die unter Denkmalschutz stehenden Kirchen (z.B. in Feldebrő, Tarnaszentmária, Bélapátfalva), die Stimmung früherer Jahrhunderte, die Volkstraditionen der Vergangenheit und der Palotzen (Hollókő) in zahlreichen Werken schilderten. Im September waren wir in Neapel. Ungarn und Italien waren in den vergangenen zehn Jahrhunderten stark miteinander verbunden. Neapel, der Sitz der Region Campania, bewahrt viele historische und kulturelle Andenken seit unseren Königen aus dem Arpaden- und dem Anjou-Haus.
Erwähnenswert ist, dass die einst vor allem aus Flüchtlingen der 1956-er Revolution bestehende Gruppe, die spätere muttersprachliche und geistige Gemeinschaft, von ihrer Arbeitslust bis heute nichts einbüßte. Mehr noch: Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass der „Europa”-Club in Österreich in vielerlei Hinsicht auch heute noch eine bedeutende Rolle spielt. Er lädt die Interessenten zu Vorträgen, Gedenkfeiern, Literaturabenden, Theatervorstellungen, folkloristischen Veranstaltungen, Jugendprogrammen, Filmvorführungen, zum angenehmen Beisammensein zu Weihnachten, Konzerten und kulturhistorischen Ausflügen ein. Im Laufe der Jahre gab es immer mehr Veranstaltungen von hohem Niveau, mit bereichernden Gedanken, und Programme mit namhaften Künstlern. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist auch das Jahr 2013. Gegenwärtig bietet der „Europa”-Club jährlich etwa 20 bis 25 Veranstaltungen. Er will mit seinen Programmen die ungarische Bildung und Kultur voranbringen. Er ist bemüht, sein Halbjahresprogramm vielfältig zu gestalten, um möglichst jeder Schicht etwas bieten zu können.
Jährlich viermal brachten wir Theaterensembles der ungarischen Minderheit nach Wien. Vielleicht zeigen sich in dieser Hinsicht neben dem geistigen Erlebnis die Lebenszeichen des Gemeinschaftsgefühls mit der ungarischen Nation am ehesten. Auf diese Theaterabende sind wir äußerst stolz. Vor kurzem unterzeichneten wir ein Kooperationsabkommen mit dem Petőfi-Theater in Sopron.
Der Verein belebte 2004 die Feierstunden in Bad Deutsch-Altenburg wieder, in deren Rahmen wir all unserer Landsleute gedenken, die in fremdem Boden ruhen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder die von dort fliehen mussten. Im Friedhof stellten die damaligen Ungarn in Österreich 1959 ein Denkmal auf. Neben dem symbolischen Grab steht seit 2006 ein aus Holz geschnitzte Denkmal des Klubs. Die Mitglieder des „Europa”-Club gedenken hier jedes Jahr in der ersten Novemberwoche im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes und einer feierlichen Kranzniederlegung gemeinsam mit Gästen aus der Slowakei und Ungarn der Opfer der Nation. Die Kirche der Ortschaft wurde im Übrigen zur Zeit des Königs St. Stephans im Jahre 1028 gestiftet. Wir haben uns vorgenommen, in der nahen Zukunft unserem ersten König ein Denkmal zu setzen oder eine zweisprachige Gedenktafel anzubringen.
Der Verein verschickt jedes Mal 930 bis 950 Einladungen zu seinen Veranstaltungen, denen die Eingeladenen zu etwa 10 bis 25 Prozent folgen. Die Programme mit Unterhaltungscharakter, die Theaterabende ziehen natürlich immer ein größeres Publikum an, als Vorträge wissenschaftlicher Natur. 29 Jahre lang hielt sich der Verein aus den Mitgliedsbeiträgen aufrecht, seit 1993 erhält er eine gewisse staatliche Unterstützung aus dem österreichischen Minderheitenfonds. Das größte Problem der Leitung besteht darin, die Jugend zu integrieren, was erfahrungsgemäß leider nur schwer realisiert werden kann.
Gern verweise ich auf unsere stets aktualisierte Homepage (www.europaclub.at) wo neben den Grunddokumenten des Vereins die Einladungen zu den aktuellen Veranstaltungen, Berichte und verschiedene Beiträge zu finden sind. Mehrere hundert Interessenten besuchen monatlich unsere Website.
Wie bereits erwähnt, hatte der „Europa”-Club vom Herbst 1987 an seinen neuen Sitz im Pazmaneum, wo er in 20 Jahren etwa 400 verschiedene Programme organisierte, wenn auch nicht alle im Festsaal des einstigen Priesterseminars, aber die Mehrheit schon. Der Klub ist kein Kirchenverein, dennoch zählte er etwa zehn Bischöfe und Oberäbte unter seinen Gästen. Nach der Wende waren zahlreiche Minister, Staatssekretäre, Botschafter und Politiker bei uns zu Gast, genauso wie Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und weitere Vertreter des ungarischen wissenschaftlichen und geistigen Lebens. Die hervorragendsten Künstler aus Ungarns Literatur und Theaterleben traten bei uns auf: Es wäre eine lange Liste, all ihre Namen hier zu nennen. Nicht selten gastierten bei uns Repräsentanten der ungarischen Musik und der Folklore wie auch Vertreter der im Westen sowie im Karpaten-Becken lebenden Ungarn. All diese Gäste von Rang erhöhten das Ansehen nicht nur des „Europa”-Club sondern auch des Pazmaneum. Trotz alldem wurde der Verein von der Leitung der Einrichtung Ende 2008 aus dem Pazmaneum „delogiert“.
Nach längerem Suchen gelang es uns, im Juni 2009 ein neues Büro zu eröffnen, wo wir nicht nur Sitzungen der Leitung, Gespräche und Treffen abhalten können, sondern auch unser Archiv von 45 Jahren unterbringen können. Die neue Adresse lautet: A-1020 Wien, Nordwestbahnstrasse 91/24. Die kulturellen Veranstaltungen finden seit 2009 im Collegium Hungaricum statt.
Die Vollversammlung des Vereins wählte am 6. Februar 2014 eine neue Leitung. Zum Vorsitzenden wurde von den Mitgliedern erneut Dr. András Smuk gewählt. Weitere Mitglieder der Leitung: Silvia Mentsik (Vizepräsidentin), Mag. Endre Kautny (Kassier), Zoltán Szabó (Sekretär), Mag. Csaba Pusztay (stellv. Kassier), Dr. József Tarjányi, Dipl. Ing. László Sas, Márta Józsa (Sekretär). Kassenprüfer: Mag. Péter Kotsis und Dipl. Ing. Nándor Németh. Die Arbeit der Leitung unterstützten u.a. Péter Szőke, Csilla Páll, Béla Koleszár, Enikő Gerzsenyi und auch Katalin Kékesi in Budapest.
Wir glauben zu Recht, dass der„Europa”-Club – seinem bisherigen guten Ruf getreu – nach wie vor ein wichtiges europäisches Forum bleiben kann, was die Pflege der muttersprachlichen ungarischen Kultur und Traditionen sowie der grenzenübergreifenden menschlichen Beziehungen angeht. Der vor kurzem 68jährig verstorbene Literaturhistoriker András Görömbei, Kritiker, Universitätsprofessor, ordentliches Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und namhafter Wissenschaftler der Volksliteratur und der vergleichenden Literaturwissenschaft, trug am 30. Oktober 2003 in unser Gästebuch ein: „Heute Abend habe ich erneut das wunderbare Gefühl erlebt, dass das Mitdenken im Menschen zu einer erhaltenden Kraft werden kann. Ich bin meinen Wiener Freunden dankbar dafür.” Einige Monate später hielt der Dichter, Lehrer und Politiker Sándor Lezsák, einer der Gründer des Ungarischen Demokratischen Forums und seit 2006 einer der Vizepräsidenten des Parlaments, in dem bereits erwähnten Gästebuch Folgendes fest: Auch Herder selbst, der die totale Assimilation der ungarischen Nation voraussagte, konnte es nicht wissen, dass auch mit der Gründung des Vereines „Europa-Club ein Neuerwachen des Ungartums eintritt.
Der „Europa”-Club beging im April 2014 den 50. Jahrestag seines Bestehens. Selbstverständlich stellten wir aus diesem Anlass ein entsprechendes Programm zusammen. Aus den Erfahrungen eines halben Jahrhunderts wissen wir, dass wir so viel wert sind, wie wir aus uns, aus unseren Plänen und Träumen zu verwirklichen imstande waren. Wir können stolz darauf sein, dass das nicht einmal so wenig war. Im Laufe der Jahre wurde es uns immer bewusster, dass Erlebtes die Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenschmiedet. Wir waren darum bemüht, dieser Bedingung immer mehr gerecht zu werden. Die Teilnehmer an unseren Veranstaltungen konnten miterleben und sehen, dass sich der „Europa”-Club während seines ganzen Bestehens stets bewusst zur nationalen Zugehörigkeit bekannte und bekennt.